Die Neusser Hütte, Eisengießerei Heerdt, Seife, Koppers Ofenbau & Co
Die hier gezeigten Gebäude befinden sich auf dem ehemaligen Areal der „Neusser Hütte“ bzw. der ehem. Eisengießerei in Düsseldorf-Heerdt. Während nicht viele Überreste dieser ursprünglich auf diesem Areal errichteten Werke zu finden sind, lohnt dennoch eine genauere Betrachtung. Nicht nur, dass die Existenz der Heerdter Eisenindustrie erstaunlich schnell in Vergessenheit geriet, sie hinterließ auch ein weiterhin stark industriell geprägtes Hafengebiet, das weitere namhafte, der Hüttenindustrie nahe Unternehmen beherbergte. Tatsächlich erlangte die Neusser Hütte zu ihrer Zeit technologisch eine gewisse Bedeutung in der damaligen Eisenindustrie, die auch heute eine Erinnerung wert sind.
Gelegen am heutigen Eingang des Neusser Hafens, wurde ab 1860 der erste und 1867 der zweite Hochofen nach dem „System Büttgenbach“ errichtet und durch die Neusser Bergbau- und Hüttenkommanditgesellschaft betrieben. Finanziell beteiligten sich hier vor allem auch Neusser Ölmühlenfabrikanten, in deren unmittelbare Nähe sich auch der Hüttenstandort anschloss. Einige dieser Namen sind noch bis heute in Neuss anzutreffen, unter anderem die Ölmühle Thywissen. Die günstige Lage inklusive Rhein- und Bahnanschluss sowie die nahgelegene Versorgung mit sogenanntem Raseneisenerz aus Osterath und Büderich (heute Meerbusch) sowie Erzgruben im Bereich Ratingen, Siegen und Kalk aus dem Bereich Velbert sprachen seinerzeit ebenso für den Standort wie günstige Boden- und Arbeitskosten. Es war eine Zeit, in der Deutschland die früh florierende belgische, die französische und schließlich die einst führend englische Stahlindustrie überholt hatte. Zu rechnen war damit zunächst nicht, denn Deutschland gab als Agrarland seinen Nachbarn lange reichlich Vorsprung.
Neusser Hütte erhält Büttgenbach Hochofen
Der zweite Ofen war 1867 mit 15,25 Metern Höhe und 216 Kubikmetern Nutzraum einer der größten des Kontinents und wurde von Franz Büttgenbach konstruiert. Aus Erfahrungen mit der schwierigen Wartbarkeit des Hochofens I lag das Augenmerk insbesondere auf guter Zugänglichkeit von allen Seiten. Der neue Hochofen wurde über einen Senkrechtaufzug beschickt und die Leistung auf 35 Tonnen in etwa verdoppelt. Er fand in der Industrie offenbar großen Anklang und verbreitete sich nach erfolgreichen Weltausstellungen auch ins Ausland. Der Bau kostete damals 150.000 Mark. Neben dem Hochofen konstruierte Büttgenbach auch einen Koksofen, der eine Weiterentwicklung des belgischen Smets-Ofens war. Die Neusser Hütte hatte aufgrund moderner Technologien zu dieser Zeit einen exzellenten Ruf in Europa und war Ziel zahlreicher Besucher.
Nach ihrem Ausbau zum Zwei-Ofen-Betrieb verfügte die Hütte über 62 Koksöfen in zwei Kokereien. Während der Betrieb zuvor mit Koks aus dem Ruhrgebiet versorgt wurde, tauchte sie nun das gesamte Umland in schwarz-graue Rauchschwaden. Einen eigenen Weiterverarbeitungsbetrieb zur Stahlproduktion sollte das Hochofenwerk nie besitzen. Auf dem Nachbargrundstück der Neusser Hütte wurde 1869 jedoch eine Eisengießerei und Dampfkesselschmiede erbaut (ab 1877 „Neusser Eisenwerk Daelen & Burg Eisengießerei und Maschinenfabrik“, später „Neusser Eisenwerk Daelen & Senff, Heerdt bei Neuss“). Der Deutsch-Französische Krieg belastete ab 1871 die Produktion empfindlich und führte durch Material- und Arbeitermangel zur Stilllegung des Hochofen 1, später auch Hochofen 2. Wirtschaftlich ging es der Hütte in den späteren 1870er Jahren schlecht, da u. a. der Marktzugang der ausländischen Konkurrenz durch sinkende Zölle einfacher wurde. Letztendlich wurde die Hütte ganz stillgelegt.
Letztes Aufbäumen gegen das Ende des Hüttenwerks
Fünf Jahre nach Stilllegung der Hütte kam es noch einmal zu einem Neuanfang unter Franz Wehrhahn und Albert Schrutt. Früh kam es zu Produktionsproblemen, u. a. einer Explosion am in Betrieb genommenen Hochofen. Er war quasi verstopft und die Gichtglocke wurde regelrecht weggesprengt. Auf dem Ofen beschäftigte Arbeiter wurden schwer verletzt und erlagen später ihren schweren Verbrennungen. Büttgenbach, längst Bergwerksdirektor in Lintorf, wurde als Sachverständiger hinzugezogen und bewerkstelligte die Reparatur des zunächst als unrettbar beschädigt angesehenen Hochofens. Der Einofenbetrieb hatte jedoch auch seine wirtschaftlichen Konsequenzen. Zahlreiche Koksöfen und andere Aggregate standen still. Es war u. a. auch stets zu wenig Kokereigas für den Hochofen vorhanden.
Wirtschaftliche Probleme der Neusser Hütte besiegeln ihr Ende
Ein rentabler Betrieb gelang der wieder in Betrieb genommenen Hütten nach der Reparatur des Hochofens so auch wegen der niedrigen Verkaufspreise für Roheisen kaum. Dass der Güterverkehr zu Abnehmern zwischenzeitlich empfindlich verteuert wurde, verschlimmerte die Lage noch erheblich. Bis 1884 wurde hauptsächlich für den Bahnbau im Deutschen Reich und den Neusser Mühlen- und Maschinenbau produziert. Zu den Produkten des nahegelegenen Eisenwerks gehörten Zahnräder, Ventile und Dampfkessel. 1884/1885 wurde der Hochofenbetrieb 25 Jahre nach ihrer Errichtung eingestellt. Als maßgeblich werden die teuren Gütertarife auf der Bahnstrecke Richtung Düsseldorf benannt, die sich auch nach jahrelangem Ringen nicht verbessern ließen.
Auch die Tatsache, dass das Hochofenwerk immer ein reiner Betrieb zur Roheisenerzeugung blieb und nie zu einem integrierten Hüttenwerk entwickelt wurde (obgleich sich das Neusser Eisenwerk später als ein Abnehmer ansiedelte), mag den Erfolg der Hütte behindert haben. Die Konzession zum Betrieb des Werkes wurde noch eine Weile verlängert. Es ist dokumentiert, dass sie 10 Jahre nach ihrer Stilllegung noch unverändert bestand. Letztendlich wurde der zunächst als günstig betrachtete Standort zwischen Kohle und Erz zu einem Nachteil des Hochofenbetriebs. Der Güterverkehr zwischen Ruhrkohle, Erzlieferanten, der Hütte und der Güterweg zu ihren Abnehmern stellte sich als ungünstiger Faktor heraus. Neuere Hütten an anderen Standorten hatten hier deutliche Vorteile. Rechtlich wurde die Gesellschaft erst 1927 liquidiert.
Neusser Eisenwerk dehnt sich aus
Nach Stilllegung der Hochöfen dehnte sich das Neusser Eisenwerk nach und nach auf Areale der Neusser Hüte aus. Noch über 1900 hinaus sprengte man alte Hochofenschlacken ab und transportierte sie als Baumaterial ins Umland. Bis 1920 wurden weite Teile der Hüttenanlage gesprengt. So sind nur noch Fragmente der Hütte in den Nachfolgebetrieben aufgegangen. Dokumentiert ist hierzu recht wenig. 1921 entstanden auf dem Gelände und auch in einigen Restgebäuden zwischenzeitlich die „Peter Cremer Standard Seifen- und Glycerinwerke“. Die Anlagen des Eisenwerks gingen 1922 vor allem auf die Koppers-Werke über, die dort die spätere Wistra Ofenbaugesellschaft aufbauten (Wistra = Wirbelstrahlbrenner). Der ursprüngliche Sitz von Koppers in Essen wurde im Zweiten Weltkrieg stärker zerstört als das Werk in Heerdt. So florierte unmittelbar nach dem Krieg vor allem bereits wieder der Düsseldorfer Standort.
Koppers (später DYKO Glas) übernimmt den Standort
1956 baute Koppers das hochautomatisierte Werk IV zur Produktion feuerfester Steine. Bereits 1874 hatte es fast an gleicher Stelle einen solchen Betrieb gegeben. Er wurde von Antoine Gobiet gegründet, Sohn des Koksofenfabrikanten aus Lüttich, der einst die Kokerei der Neusser Hütte mit errichtet hatte. Die Produktpalette von Koppers verlagerte sich im Laufe der Zeit von Koksöfen immer weiter auf den Bau feuerfester Materialien auch für andere Öfen, feuerfeste Rohre, Tiegel und Materialien aus Zirkon- und Thoriumoxid für die Raumfahrt und den Bau von Atomreaktoren. Das Unternehmen fiel in den 1970er Jahren für den symbolischen Preis von 1DM an den Krupp-Konzern. Das Werk in Heerdt wurde jedoch schon bald wieder an die Boehringer Gruppe veräußert und firmierten als DYKO-Glas (= DYnamidon-KOppers).
Das Übernahmekarussel für Koppers dreht sich weiter
Die anderen Koppers-Aktivitäten firmierten mit dem Krupp Chemieanlagenbau als Krupp Koppers. Kurzzeitig Krupp Uhde zugeschlagen, wurde der Kokereibereich später mit Thyssen Still Otto Anlagentechnik zusammengeführt und heisst seitdem ThyssenKrupp EnCoke. Boehringer veräußerte 1993 DYKO an die Grossalmeroder Tonwerke. Wenige Jahre später übernahm Vesuvius. Die Werke I und II wurden 2004 von der Preiss-Daimler-Gruppe übernommen. Noch bis 2013 wurden dort vor allem Glasschmelzwannen für die Glasindustrie hergestellt. Die Anlagen der ursprünglichen Koppers-WISTRA und das Werk IV wurden 1998 stillgelegt. Heute sitzt im ehemaligen Werk IV vor allem die Firma Boesner und vertreibt Künstlerbedarf. Heinrich Koppers war einst ein enger Mitarbeiter von Dr. Carlos Otto (Dr. C. Otto & Comp. in Bochum-Dahlhausen). DYKO Glas und auch die ehem. Werke von Dr. C. Otto in Bochum gehörten später zur Preiss-Daimler Gruppe. Das Werk in Bochum existiert noch heute.
In den USA und Chile existieren bis heute ehemalige Tochterwerke der Firma Koppers eigenständig weiter. Sie wurden während der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den 1970er Jahren veräußert. Weite Teile noch bestehender Gebäude wichen in Heerdt einem Logistikzentrum. Zuvor hatte sich bereits die Firma Dachser großflächig in der Nachbarschaft auf dem ehemaligen Hüttenareal, das in den vergangenen Jahrzehnten bereits einige Nachnutzer und beständigen Wandel gesehen hatte, niedergelassen.