ThyssenKrupp Steel Duisburg – August Thyssen Hütte (ATH)
Die Gewerkschaft August Thyssen Hütte (ATH) war 1919 aus dem Hüttenwerk Bruckhausen (in Hamborn-Bruckhausen) und dem Walzwerk Deutscher Kaiser in Dinslaken hervorgegangen. Das Hüttenwerk in Bruckhausen war durch August Thyssen und die Gewerkschaft Deutscher Kaiser (zurückgehend auf die Zeche Deutscher Kaiser in Bruckhausen / Zeche Friedrich Thyssen) ab 1889 errichtet worden. Nachdem August Thyssen bis 1891 fast alleiniger Eigentümer aller landwirtschaftlichen Flächen der Umgebung geworden war, entstand unter seiner Führung in Bruckhausen eines der größten Hüttenwerke im Ruhrgebiet. Bereits 1871 hatte er ein Bandeisenwalzwerk in Mülheim an der Ruhr errichtet.
1904 bis 1909 ging Fritz Thyssen eine Kooperation und quasi eine Fusion mit der Gelsenkirchener Bergwerks AG ein, löste diese aber wieder auf.
In den folgenden Jahrzehnten dehnte sich das Hüttenwerk in die umgebenden Stadteile aus. So entstand in Marxloh ein Walzwerk und im Hamborner Dorf Alsum ein Hafen. Viel später entstanden in Marxloh auch noch zwei moderne Großhochöfen, Schwelgern I in 1972, Schwelgern II in 1993.
Anfang des 20. Jahrhunderts besaß das Hüttenwerk Bruckhausen nach umfangreichen Modernisierungen und dem Bau einer Zentralkokerei durch Koppers sechs Hochöfen. Es waren zu dieser Zeit insgesamt über 25.000 Mitarbeiter für Thyssen in einem der modernste Hüttenwerke in Europa tätig. Nach dem ersten Weltkrieg wurden Hochofen 7 und 8 in Betrieb genommen. Ende der 1920er Jahre wurde auch das Hüttenwerk in Bruckhausen Teil der Vereinigten Stahlwerke. Im Zweiten Weltkrieg – beide Weltkriege ließen die Hütte dann unter diesem Dach für die Rüstungsproduktion am Limit laufenen – kam 1944 gar ein neunter hinzu, während weitere modernisiert wurden. Hochofen 9 wurde jedoch kurz nach seiner Inbetriebnahme, wie weite Teile der sonstigen Hütte, bombardiert und schwer beschädigt.
August Thyssen Hütte (ATH) drohte Demontage
Wie viele andere Rüstungsproduzenten auch, sollte die August Thyssen Hütte nach dem Zweiten Weltkrieg demontiert werden. Ab 1950 wurde das Werk jedoch wieder aufgebaut. In den 1950er und 1960er Jahren wuchs ein Hüttenwerk imposanter Größe heran. Es besaß 10 Hochöfen und wurde und blieb der größte Stahlstandort Europas. 1955 begann der Bau des Oxygenstahlwerks, das heute noch prägend gegenüber der 1963 erbauten Verwaltung an der Kaiser-Wilhelm-Straße kaum zu übersehen ist. Das Oxygenstahlwerk ist auch ein Entwurf des über Jahrzehnte im Ruhrgebiet prägenden Architekten Fritz Schupp. Es steht an jener Stelle, an der August Thyssen das Hüttenwerk einst mit einem Siemens Martin Stahlwerk begründete.
Nach der Entflechtung der Montanindustrie war August Thyssen Hütte AG bis 1973 der Name des Thyssen-Kernkonzerns. Ab 1974 hieß der Konzern schlicht Thyssen AG. Das Hüttenwerk in Bruckhausen ist das Stammwerk der Thyssen-Seite von ThyssenKrupp-Steel.
ThyssenKrupp Steel entsteht
Die ThyssenKrupp Steel AG in Duisburg ist die größte Unternehmenseinheit der 1997 fusionierten ThyssenKrupp Stahl AG (später Thyssen Krupp Steel) und entstand im Rahmen der Stahlfusion der Thyssen AG und der Friedrich Krupp AG Hoesch-Krupp. Diese Gesellschaft war das Ergebnis von Verhandlungengen, nachdem die Friedrich Krupp AG Hoesch-Krupp zunächst eine feindliche Übernahme der Thyssen AG anstrebte. Diese wurde jedoch duch eine Indiskretion früh bekannt und führte zu massiven Protesten an Rhein und Ruhr. Mit gut 26.000 Mitarbeitern erwirtschaftet der größte deutsche Stahlkonzern 2023 rund 12 Mrd. Euro Umsatz. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung (AKBH) ist der größte Einzelaktionär der später fusionierten ThyssenKrupp AG.
In Duisburg, neben Essen einem der handelsrechtlichen Sitze des fusionierten Unternehmens, betreibt die Thyssen Krupp Steel u. a. das größte integrierte Hüttenwerk Europas. Die Anlagen erstrecken sich über die Duisburger Stadtteile Bruckhausen, Beeckerwerth und Hamborn. Nach der Fusion mit Krupp-Hoesch, setzte man auf den Standort Duisburg und legte die Hochofen- und Stahlwerke in Dortmund (Westfalenhütte, Phoenix) still. Es verblieben wenige verarbeitende Betriebe, die nur noch einen Bruchteil der einstigen HOESCH-Arbreitsplätze boten.
Die Amerika-Expansion und Konkurrenz aus Asien bringen den Konzern in Schieflage
ThyssenKrupp Steel konzentriert sich heute auf hochwertige Flachstahlprodukte und besetzt in diesem Segment eine starke Marktposition. Die Konzentration auf hochwertigen Spezialstahl kostet den Konzern den Abschied aus dem Kreis der großen Massenstahlproduzenten der Welt. Er taucht heute nicht mehr in der Top 40 auf (nach Millionen Tonnen Produktion). Die heutige Nummer 1, China Baowu Steel Group, produziert rund 13 mal mehr und damit sogar fast doppelt so viel, wie der einstige Riese ArcelorMittal.
Zwischen 2000 und 2003 wurde die alte Kokerei der Bruckhausener Hütte durch einen Neubau am Schwelgerner Hafen ersetzt. Zunächst von einer Beteiligungsgesellschaft errichtet und betrieben, gehört die Kokerei Carbonaria seit 2019 der ThyssenKrupp Steel. Die Farbgebung der Kokerei und anderer neuerer Bauten auf dem Hüttenareal geht auf den sogenannten Farbphilosophen Friedrich-Ernst von Garnier zurück. Grüntöne sowie blaue und gelbe Akzente sollen im Fall der Kokerei helfen, die Anlage harmonischer in die Rheinlandschaft einzufügen.
Zwischen 2005 und 2008 baute ThyssenKrupp Steel neben Hochofen 9 für 200 Mio. Euro einen neuen Hochofen 8. Es war der erste Hochofenneubau in Deutschland seit langer Zeit. Während heute der Löwenanteil der Mitarbeiter in Duisburg arbeitet, trieb der Konzern vor der Eurokrise (in den 2000er Jahren) durch den letztendlich zehn Milliarden teuren Neubau von Kapazitäten seine Expansion, insbesondere nach Nordamerika voran. Durch Verzögerungen und zahlreiche Probleme beim Bau, schnellten die Kosten jedoch in die Höhe, während der Bedarf im zyklischen Stahlgeschäft gerade wegbrach.
Eine neue Führung von ThyssenKrupp beendete die Amerika-Expansion 2012 schließlich und schrieb im Zuge des Verkaufs des Walzwerks 2013 und des Hüttenwerks 2017 Milliarden ab. Das neu errichtete Walzwerk in Alabama ging zu jeweils 50% an Arcelor und Nippon Steel. Das nagelneue Hüttenwerk nahe Rio de Janeiro gehört heute Ternium, einem argentischen Stahlunternehmen.
Während die Annahmen für die Expansion im Zuge des Ausstiegs als zu optimistisch angesehen wurden, stellten sich die Annahmen für den Ausstieg (die Werke würden mittelfristig nicht wirtschaftlich werden) womöglich als zu pessimistisch heraus. Ternium, Arcelor und Nippon Steel verdienten seit der Übernahme zumindest Geld mit den übernommenen Werken und liefern hochwertige Produkte. Der ThyssenKrupp-Konzern geriet nach der fehlgeschlagenen Amerika-Expansion in Schieflage und hatte ein erhebliches Loch in der Kasse, das dringende Investitionen schwierig machte.
Folgen für ThyssenKrupp Steel und den Gesamtkonzern
In der zunehmend bedrohlichen Lage wurde mit ThyssenKrupp Elevator Tafelsilber verkauft, mit dessen Erlös der Konzern saniert und in die Stahlstandorte investiert werden sollte. Die Corona-Krise fraß jedoch unvorhergesehen einen Großteil des Geldes auf. Im Nachgang steht – erst zwischenzeitlich wieder zum Kerngeschäft erklärt – erneut die Abspaltung von ThyssenKrupp Steel von der ThyssenKrupp AG zur Diskussion. Es ist nicht das erste mal, dass diese Pläne gedeihen. Denn bereits in den 2000er Jahren, als der Wiedervereinigungsboom jäh beendet war (tatsächlich hatte er strukturelle Probleme bei Hoesch, Krupp und Thyssen eine Weile gleichermaßen übertüncht) und Stahl angesichts neuer Milliardenbranchen im Tech-Sektor abfällig als „Old Economy“ bezeichnet wurde, waren diese Pläne weit gediehen und ThyssenKrupp sollte ein Technologiekonzern rund um Automobilzulieferung und das Aufzugsgeschäft werden.
Der Börsengang der Stahlsparte verzögerte sich aufgrund des unattraktiven Umfelds, bis das Stahlgeschäft zwischenzeitlich wieder so lukrativ brummte, dass der Konzern sich in den 2000er Jahren erst einmal nicht mehr von seiner Stahlsparte trennen wollte. Eine 2019 bereits verhandelte und weit gediehene Fusion mit der indischen Tata Steel scheiterte. Vorausgegangen waren Gespräche mit den EU-Wettbewerbshütern in Brüssel, die für eine Genehmigung immer neue Zugeständnisse gefordert haben sollen. So soll der Deal sich am Ende laut ThyssenKrupp-Vorstand nicht mehr gerechnet haben.
Die heutige Rohstahlproduktion von TKS beträgt rund 11 Mio. Tonnen. Der einstiege Wirtschaftsriese ThyssenKrupp AG (einst Teil des DAX30) ist 2024 gerade noch mit vier Milliarden Euro Marktkapitalisierung an der Börse notiert.
ThyssenKrupp Steel: Ergebnis vieler Fusionen und Übernahmen
Das Konglomerat ThyssenKrupp Steel ist das Ergebnis einer langen Abfolge von Übernahmen und Fusionen an Rhein und Ruhr. Es hat das Erbe vieler namhaften Eisen- und Stahlunternehmen an Rhein und Ruhr in sich vereint. Darunter neben Thyssen und Krupp u. a. Hoesch, Rheinstahl, Ruhrstahl, Schalker Verein, Bochumer Verein, Phoenix-Rheinrohr, Niederrheinische Hütte, Rasselstein, Edelstahlwerk Witten, Deutsche Edelstahlwerke, Nirosta, und Hüttenwerke Oberhausen. Viele dieser Bestandteile gibt es heute als Werk nicht mehr oder ihre Überreste wurden (wie z. B. Nirosta an Outokumpu verkauft) verkauft. Das heutige Logo von ThyssenKrupp ist aus den Krupp-Ringen und dem Rheinstahl-Bogen zusammegefügt worden. Ihn hatte Thyssen nach der Rheinstahlübernahme 1973 seinem einstigen THYSSEN-Schriftzug hinzugefügt.
Ob ThyssenKrupp Steel künftig selbst einem anderen Konzern als Übernahme-Meilenstein in seiner Historie hinzugefügt wird, ob ThyssenKrupp Steel an die Börse gebracht oder von einem Investor übernommen wird, ob auch diese Abspaltung im Zuge eines neuen Stahlbooms noch abgesagt wird oder ob ein anderes Szenario eintritt, steht Anfang 2024 noch nicht fest. Der tschechische Investor Daniel Křetínský ist derzeit der einzige bekannte Interessent für die Stahlsparte des Ruhrkonzerns. Er hat bereits Teile der deutschen Braunkohlenwirtschaft unter seine Kontrolle gebracht und investiert in Erneuerbare Energien, die ThyssenKrupp Steel für seine stromintensiven Direktreduktionsanlagen künftig in enormem Ausmaß benötigen wird.
Ein Hemmschuh sind die milliardenschweren Pensionsverpflichtungen gegenüber früheren Mitarbeitern der ThyssenKrupp Steel, die schon frühere Interessenten abgeschreckt hatten. Während die Fusion mit Tata für die Belegschaft am Ende tragbar erschien, ist Widerstand in dem stark von Mitbestimmung geprägten Duisburger Stahlkonzern bei jeder Lösung zu ihrem Nachteil quasi vorprogrammiert.
Grüngürtel und grüner Stahl
Um das Werk in Bruckhausen wurde durch den Rückbau von Wohnbebauung ein Grüngürtel geschaffen. Aus Unternehmenssicht können so die Konflikte zu nah angrenzenden Nachbarn entschärft werden. Bürgerinitiativen sahen die Lage natürlich anders, während die Stadt Duisburg die Maßnahme größtenteils als städtebauliche Chance annahm.
Im Jahr 2023 erlaubt die EU Milliarden-Beihilfen für Thyssenkrupp. Während aus staatlichen Mitteln bis zu zwei Milliarden Euro fließen, will der ThyssenKrupp-Konzern eine Milliarde Euro investieren, um die wasserstoffbasierte Produktion grünen Stahls per Direktreduktion umzusetzen. Hierfür soll eine Anlage in Duisburg entstehen. Mittel- bis langfristig soll die CO2-trächtige Roheisenproduktion im Hochofen damit beendet werden.